Müde von Videokonferenzen? Zur Erinnerung: es geht auch jetzt um Arbeit. Und um Führungs-Arbeit. Gerne auch von zu Hause.

Müde von den vielen Videokonferenzen? Den besser oder schlechter ausgeleuchteten Gesichtern? Sehen und hören Sie derzeit auch ganzen Tag Talking Heads? Nach vielen Videokonferenzen immer noch das flaue Gefühl „We’re on a road to nowhere“?
Sorry, David Byrne.

Wie wäre es damit, nicht nur Gesichter zu sehen, sondern auch Arbeit und Ergebnisse?

Meistens ist der Blick ja nur auf Gesichter gerichtet. Vor allem auf das eigene: Sitzt man vorteilhaft? Ist man gut ausgeleuchtet? Sind die Bücher und Stofftiere gut im Bild, nicht allzu aufdringlich, aber doch sichtbar?

Wie wäre es damit, auch „Arbeit“ und Ergebnisse zu sehen? Warum wir statt auf „home office“ auf „home work“ fokussieren sollten, leider ist Hausarbeit schon (doppelt) besetzt.

Worte machen Welten: es geht um Arbeit, nicht um Büro. Wenn schon, dann „home office = zu Hause Arbeit tun“ (office, von lat. opificium, „Arbeit-tun“)

Wir werden derzeit alle zu Experten (oder zumindest zu “Experten”), wir beteiligen uns an hitzigen Gesprächen über geeignete Maßnahmen im Zusammenhang mit COVID-19, über Reproduktionszahlen und Herdenimmunität, können die Vorteile von Microsoft Teams und die Nachteile von zoom beschreiben, sind stolz, weil wir wissen, wie wir jemanden muten und anmuten können (“Moment, oder war das in 3CX so oder doch in meet.google?”). 

Abgesehen von den technischen Einschränkungen – Technologie ist derzeit immer „poor technology“, egal, wie die WLAN-Bandbreite, die Auflösung der Kamera, aktuell die Software; wir erleben die Einschränkungen, die uns diese Kommunikationsformen bezüglich unserer Kommunikations- und Interaktionsfähigkeiten auferlegt.

Communication Jazz, die Fähigkeit, miteinander zu sprechen, einander über verbale Signale zuzustimmen, Halbsätze zu ergänzen (was rigide Zeitgenossen als einander ins Worte fallen missdeuten könnten), diese Lebendigkeit einer kommunikativen Interaktion, die nicht nur sachlich, sondern auch emotional möglich ist, ist schwierig.

Touch & feel lässt sich nur unzureichend emulieren, gleichwohl viele beschreiben, dass man sich für Gefühle Zeit nimmt, diese anzusprechen und auszusprechen, dass man achtsamer wird, froh ist, den anderen zu hören (vermutlich war dies vor vielen Jahrzehnten so, wenn man ein Telegramm mit wenigen Worten gedanklich zu einem kostbaren Brief ausschmückte).

Eine neue Sprache lernen.

Digital kommunizieren ist eine neue Sprache lernen. Wir alle machen gerade „baby steps“. Wir erleben ein Neulernen, ein Einüben von Kulturtechniken: wie funktionieren diese digitalen Kommunikationsformen, was ist mit ihnen möglich? Was nicht? Wie kann ich ein Mindestmaß an analoger Kommunikation in einer digitalen Entsprechung gestalten, nutzen und vielleicht sogar genießen?

Bei allen Herausforderungen, die die aktuelle Situation an uns stellte, zwei Aspekte waren bislang hilfreich für ein Gemeinschaftsgefühl von Teams, Bereichen oder Führungs-Mitarbeiter-Beziehungen, die jedoch bereits schon brüchig werden und bald wegfallen und einer neuen Fragmentierung von Aufmerksamkeit wieder Platz machen:

Erstens, ein ungeahnter gemeinsamer Aufmerksamkeitsfokus, eine Art Sog: wir hatten durch COVID-19 einen gemeinsamen Fokus, wie zuletzt vermutlich nicht Mals anlässlich des Sommermärchens 2006 (in Deutschland), Cordoba 1978 (in Österreich) oder einem Finalsieg von Roger Federer. Dieser Fokus ließ uns temporär zusammenrücken.

Zweitens, die gemeinsame Gefühlslage: anfänglich Unsicherheit, gepaart mit Neugier und Angstlust, Ärger, Frustration, Freude, Dankbarkeit; wir konnten emotional connecten (auch wenn die Motive und Situationen, die diese Gefühle auslösten, höchst unterschiedlich waren — man war überfordert, weil man entweder zu viel Arbeit hatte, keine Arbeit mehr hatte, Heimarbeit hatte, Kurzarbeit hatte; weil man allein lebte, mit der Familie zusammen lebte, mit dem Ex noch zusammenlebte etc.

Dieser gemeinsame Aufmerksamkeitssog und die hohe emotionale Kongruenz ließ bei manchem die Illusion einer neuen Community oder Solidarität entstehen, gepaart mit einem Innehalten, jetzt wird vieles anders etc. Diese Illusionen sind gerade am Zerplatzen, wenn man sich die Arbeitslosenraten, die Auftragseinbrüche, die Ölpreise, die Planungen des Sommerurlaubes, die zurückgestellten Maßnahmen für den Klimawandel oder die ähem, interessanten Empfehlungen zur Behandlung von Covid-19 von hochrangigen Politikern anhört.

Auch ist der Krisen- oder Survivalmodus, der die ersten Wochen in den ins Wohnzimmer verpflanzten Büros mit all seiner Bedeutsamkeit, seinem energievollen Handlungsdruck erzeugte, langsam am fade out. Es wird eine Zeit nach Corona geben und bis dahin eine noch sehr lange Zeit mit Corona. Der Sprint wurde zum 1000 Meter-Lauf, dieser zum Marathon, dieser zum Ultra-Marathon oder zu einem Hasen & Igel-Lauf mit moving targets.

Die Schwierigkeit, sich Kraft und Ausdauer einzuteilen, gleichzeitig Zuversicht und Pessimismus zu einem tragfähigen Realismus zu bündeln, Vorfreude und Erschöpfung zu balancieren, ist herausfordernd, wenn Weg und Ziel unbekannt sind. Fahren auf Sicht gelingt nur, wenn man grundsätzlich weiss, wo man hin will, wann man „da“ ist und wie der Weg beschaffen ist.

Auch kostet die Anpassungen an einen tiefgreifenden Change-Prozess, die maßgeblich über die Verarbeitung von Gefühle geschieht, vieles an Energie. Wir haben keine Vergleichsmuster. Kriege haben nur mehr wenige von uns erlebt, eine Pandemie ähnlichen Ausmaßes ebenso nicht. Unser Verstand ist überfordert, unser (auch gesunder) Narzissmus gekränkt, unsere Kontrollillusion dahin. (Vielleicht holen wir uns ja die Narzisstische Zufuhr in dieser Zeit, indem wir uns selbst den ganzen Tag per Videokonferenz bespiegeln, das Bild unseres eigenen Gesichtes anschauen?)

Darüber hinaus beschreiben vor allem Führungskräfte virtuelle Kommunikation („remote führen“) aus anderen Gründen als unbefriedigend:

Es ist natürlich, gewohnt, selbstverständlich und auch hilfreich, dass wir, wenn wir miteinander virtuell kommunizieren, auf das Gegenüber, sein oder ihr Gesicht fokussieren und dass man uns sieht. Immerhin ist die Kamera am Laptop dort angebracht. 

Dies dient dem kommunikativen, interaktiven Aspekt von Führen: mit Menschen sprechen, ihnen zuhören, sie wahrnehmen.

Nur: ist das Führen? Ist das Führungs“arbeit“? Was heisst in diesem Zusammenhang arbeiten? Wie führe ich Menschen zu Ergebnissen? Wie organisiere, gestalte und orchestriere ich zusammen arbeiten? Zusammenarbeit?

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